Unser Vereinsmitglied Katharina Walser.
Am erfolgreichen Inklusionsprozess ist das kunterbunte Selbsthilfe-Netzwerk nicht ganz unschuldig, laut der Mutter kamen entscheidende Informationen und Impulse, und auch der Mut, weil auch andere Familien schon gute Erfahrungen gemacht hatten, aus dem Netzwerk von Kunterbunte Inklusion e.V.
Auch am Mathematikunterricht nimmt Katharina Walser gemeinsam mit ihren Mitschülern teil.
©️ Benedikt Hirschmann

Königsdorf – Seit ihrer Geburt ist Katharina Walser schwerstbehindert. Rund um die Uhr muss die Königsdorferin betreut werden. Trotzdem besucht sie seit der ersten Klasse die Grund- und Mittelschule in ihrem Heimatort. Wie der Unterricht mit der Neunjährigen funktioniert, und wie ihre Mitschüler davon profitieren, berichtet Lehrer Benedikt Hirschmann (30) im Gespräch mit Redakteurin Franziska Konrad.
Herr Hirschmann, Sie sind Klassenlehrer der 3/4b in Königsdorf. Unter Ihren Schützlingen ist Katharina Walser, ein schwerstbehindertes Mädchen. Wie muss man sich bei Ihnen den Unterricht vorstellen?
Im Endeffekt wie in jeder Klasse. Bei uns findet ganz normaler Unterricht statt. Die Tatsache, dass da Katharina hinten im Klassenzimmer sitzt, ändert nichts an der Art und Weise, wie ich unterrichten kann.
Ist Katharina jeden Tag die ganze Zeit dabei?
Ganze Tage sind sehr, sehr selten. Meistens ist Kathi halbe Tage bei uns, manchmal auch nur ein- bis zwei Unterrichtsstunden. Das kommt immer auch auf ihre weiteren Termine an. In der Regel versuchen die Eltern, Katharina gleich in der Früh zusammen mit ihrer Krankenpflegerin in die Schule zu schicken. Oft geht sie nach der dritten, vierten Stunde wieder heim. Es hängt immer von ihrer Tagesform ab. Man merkt relativ schnell: Passt es heute oder nicht? Dann kann man sich darauf ausrichten.
Beteiligt sich das Mädchen am Unterricht? Oder ist es eher stiller Zuhörer?
Katharina kann nicht sprechen. Genauso fehlen ihr andere wichtige körperliche Grundfunktionen, wie das Schlucken. Heißt: Sie nimmt rein körperlich passiv am Unterricht teil, Kathi kann sich zum Beispiel nicht melden. Die Verständigung zwischen uns ist aber insofern möglich, da wir über „Ja“ und „Nein“ miteinander kommunizieren können.
Wie läuft das ab?
Durch Blinzeln kann Katharina auf Suggestivfragen antworten: Blinzeln heißt ja, nicht Blinzeln heißt nein. Das beschränkt natürlich die Kommunikation. Aber es ist nicht unmöglich, sich mit ihr auszutauschen oder auch abzufragen, womit sie einverstanden ist – und womit nicht.
Kommuniziert Katharina genauso mit ihren Mitschülern?
Ja, auf jeden Fall. Bei uns gilt sowieso die Regel, dass die Kinder mit ihr gemeinsam etwas im Unterricht unternehmen sollen. Das kann eine einfache Version sein, dass ihre Mitschüler sich neben Katharina setzen und sich reihum Rechenaufgaben stellen. Kathi kann zwar nicht antworten, aber sie ist dabei. Genauso wie bei interaktiven Sachen. Da wird beispielsweise etwas vorgelesen, worauf die Kinder mit Ja oder Nein antworten. Hier kann Katharina direkt mitmachen. Also sie ist auf keinen Fall isoliert. Das ist ja auch nicht der Sinn von Inklusion. Sondern sie ist medizinisch betreut in einer ganz normalen Klasse, in der die anderen Schüler von sich aus mit ihr interagieren wollen. Bei uns kommt ständig die Frage: „Dürfen wir mit der Kathi etwas machen?“
Funktioniert das auch im Sportunterricht?
Letztendlich geht es bei Katharina immer ums Dabeisein. Am Sport nimmt sie oft als Beobachterin teil. Manchmal ist da zwar die Lautstärke ein bisschen das Problem, da sie lärmempfindlich ist und dann auch körperlich mal reagiert. In solchen Fällen bekommt Kathi Kopfhörer als Gehörschutz. Aber es gibt auch Formate von Sportstunden, in denen sie mitwirken kann, zum Beispiel beim Fangenspielen. Oder letztes Mal haben wir den langsamen Walzer geübt für unseren Winterball. Da sind die Kinder mit ihr im Rollstuhl herumgefahren. Auch für mich als Lehrer war das ein schöner Augenblick.
Warum?
Katharina war mittendrin unter ihren tanzenden Klassenkameraden. Immer mal wieder wurde sie von jemand anderem, zwischen den Pärchen herumgeschoben. Wenn man Kathi und ihre Mimik ein bisschen kennt, sieht man ihr an, ob sie Spaß hat. Und das war für sie einfach ein toller Moment. Und alle Momente, in denen die Katharina lacht, sind für mich als ihr Lehrer schön.
Wie wirkt sich das Zusammensein mit Katharina auf ihre Klassenkameraden aus?
Es wirkt sich auf jeden Fall sehr, sehr positiv auf das soziale Klima bei uns aus. Die Kinder gehen jetzt das vierte Schuljahr mit Kathi in eine Klasse. Ich würde die Schüler als wesentlich offenherziger beschreiben, generell als flexibler und nie voreingenommen gegenüber anderen. Das spürt man ganz, ganz deutlich.
Inwiefern profitiert Katharina von der ganzen Sache?
Da ist natürlich erst einmal die Grundfrage von Inklusion: Deren Ziel soll sein, dass man Kinder wie Katharina nicht extra beschult, sondern normal mit anderen Gleichaltrigen integriert. Kathi profitiert bei uns dadurch, weil sie in der ganzen Gesellschaft – sowohl in der Klasse als auch in der Schule – aber auch genauso in Königsdorf, so gut integriert ist. Dass sie auf Kindergeburtstage eingeladen wird, dass man sie einfach kennt und dass dieses Thema Inklusion im Dorf einen hohen Stellenwert bekommt. Mich freut es total, wenn ich höre, dass Katharina wieder auf einem Kindergeburtstag eingeladen war. Letztendlich ist das das schönste Ziel, welches man sich setzen und erfüllen kann in der Inklusion.
Erleben Sie auch Schwierigkeiten im Unterricht?
Ich würde es nicht als Schwierigkeiten, sondern in erster Linie als Herausforderung beschreiben: Die Geräte von Katharina machen ab und zu Geräusche. Dann müssen sich die Kinder gut konzentrieren, sich davon nicht ablenken zu lassen. Unterm Strich klappt das aber sehr gut. Entweder hören es ihre Mitschüler nicht mehr oder sie ignorieren es, weil sie es gewohnt sind. Andere Kinder, die etwa in Vertretungsstunden in unsere Klasse kommen, schauen erst einmal hin, registrieren dann den Rest der Klasse, den es nicht interessiert – und schauen wieder weg.
… und vor welchen Herausforderungen stehen Sie als Lehrer?
Zu schauen, dass Katharina bestmöglich involviert ist. Nicht immer ist das leicht, und ich bin mir mit ihren Eltern darüber einig: Als Lehrer mit 23 Schülern in der Klasse kann ich keine Einzelinklusion als Eins-zu-eins-Betreuung umsetzen. Dieser Punkt ist allen Beteiligten klar – das ist auch nicht das Ziel. Sondern vielmehr, dieses Miteinander bei uns im Rahmen zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Quellenangabe: Isar-Loisachbote vom 06.03.2025, Seite 37